Weisses Rauschen

Aus der Eisfabrik

Teamarbeit von Mirjam Kradolfer und Stefan Rohner, 2012–2014

eisfabrik@nullgrad.ch

Winterschlaf in der Tiefkühlzone

Gletscher geben frei
was tausende Jahre konserviert war im Eis
und kalbern ins Eismeer.
Eisberge schweben in wärmere Zonen
schmelzen langsam vor sich hin.
Eisberg-Getümmel in der Diskobucht
schwebende Eiswolken
tiefgründig Gefrorenes schwimmt oben auf;
wechselnder Aggregatzustand des Wassers. Gewichtsverschiebung
gefrorenes ist leichter als flüssiges H2O

Das Weisse im Innern des White Cube.
Weisses Rauschen: akustische Kombination aller
Frequenzen bei gleicher Amplitude –
analog der additiven Farbmischung von Weiss.

Human Glaziologie:
betrunken von einer Unterkühlung,
verlangsamen sich alle Körperfunktionen.

Das Wachsen der spitzen Eiskristalle wird durch Glycerin gehemmt.
Dieser Frostschutz hilft der Puppe des Schwalbenschwanzes bei Minus 30 Grad zu überleben.
Bei gefriertoleranten Fröschen stehen Herz und Kreislauf still.

Enorme Mobilisierung der Energiereserven nach dem Winterschlaf.

Die Fettschicht von Eisbären ist so dick,
dass sie von Infrarot Kameras nicht zu orten sind.

gruppenkuschelnde Pinguine halten sich warm.

«dichte, warme Flocken», sagt Robert Walser «Schneerevolution», sagt Ernst Jandl
«Das Schneebett unter uns beiden», sagt Paul Celan

sr

(Ostgrönland!)

Es friert einen schon beim Aussprechen des Namens Knochenkälte – trocken wahrscheinlich
einer blieb den Inuit zu liebe – wahrscheinlich
er sei ein Patron
und serviere Eisbärenfleisch als vitello tonnato
ein Italiener eben
in Tasiilaq
Andere durchquerten das Inlandeis aus wissenschaftlichen Gründen
oder wieso auch immer
Natur pur – einfach ohne Grün
(Grönland – Grünes Land)
Nur weisses hellblaues Weiss aus lauter Hellblau
und kalt – relativ ziemlich
abgefrorene Glieder – vorzugsweise Zehen
kleine Öpferchen an die Kältegöttin
Den Inuit gehört dieses Land – dieses Eis
Eigentlich
was darunter ist, geht niemanden etwas an
ausser der Nordpol gehört dem Polarstern allein.
Der scheint stabiler als die schwimmende Eisdecke
Es kämpften und krampften und dampften Männer
und ein paar wenige Frauen – hartgesottene Frauen
über die Eisschollen
Einige vergebens und liessen sich konservieren
unwirtlich eigentlich diese Gegend
aber schönes hellblaues Weiss
ausser der Südpol sei getüpfelt von Pinguinscheisse
aber von hier aus sieht das ja keiner
und gehört ja auch ihnen allein alles da unten

sr

Weisses Rauschen – Aus der Eisfabrik

von Kristin Schmidt

Vernissagerede zur Ausstellung von Mirjam Kradolfer und Stefan Rohner im Kunstraum Engländerbau, Vaduz

«Statt der Sonne jedoch gab es Schnee, Schnee in Massen, so kolossal viel Schnee, wie Hans Castorp in seinem Leben noch nicht gesehen. Der vorige Winter hatte in dieser Richtung wahrhaftig nichts fehlen lassen, doch waren seine Leistungen schwächlich gewesen im Vergleich mit denen des diesjährigen. Sie waren monströs und maßlos, erfüllten das Gemüt mit dem Bewusstsein der Abenteuerlichkeit und Exzentrizität dieser Sphäre. Es schneite Tag für Tag und die Nächte hindurch, dünn oder in dichtem Gestöber, aber es schneite. Die wenigen gangbar gehaltenen Wege erschienen hohlwegartig, mit übermannshohen Schneewänden zu beiden Seiten, alabasternen Tafelflächen, die in ihrem körnig kristallischen Geflimmer angenehm zu sehen waren […] Und auf die liegenden Massen schneite es weiter, tagaus, tagein, still niedersinkend.»*

In diesem Raum lässt sich die beschriebene Schneewelt trefflich vorstellen. Ein weisser Ausstellungsraum, der perfekte White Cube, ohne Fenster, mit weisser Tür, weissen Wänden und weisser Decke, sogar der Boden ist weiss. Und selbst die Kunst. Weisse Objekte, weisse Flächen, weisse Wesen, Formen und Gebilde. Stefan Rohner und Mirjam Kradolfer haben ein „weisses Rauschen“ inszeniert.

Der Begriff lässt sich zunächst ganz wörtlich nehmen: Das weisse Rauschen als das Gewirbel der Schneeflocken, das jede Sicht verschleiert, kein klares Bild ermöglicht, etwa so wie das grauweisse Flimmern auf dem Fernsehbildschirm zur Sendepause – ja, so etwas gab es früher. Das weisse Rauschen also als Abbild des Schneetreibens. Als Inbegriff des konturlosen Weiss, dass sich ergibt, wenn über der ohnehin verschneiten Welt ein Flockenwirbel niedergeht:

«… Draußen war das trübe Nichts, die Welt in grauweißer Watte, die gegen die Scheiben drängte, in Schneequalm und Nebeldunst dicht verpackt. Unsichtbar das Gebirge; vom nächsten Nadelholz allenfalls mit der Zeit ein wenig zu sehen: beladen stand es, verlor sich rasch im Gebräu, und dann und wann entlud eine Fichte sich ihrer Überlast, schüttelte stäubendes Weiß ins Grau. Um zehn Uhr kam die Sonne als schwach erleuchteter Rauch über ihren Berg, ein matt gespenstisches Leben, einen fahlen Schein von Sinnlichkeit in die nichtig unkenntliche Landschaft zu bringen. Doch alles blieb in geisterhafter Zartheit und Blässe, bar jeder Linie, die das Auge mit Sicherheit hätte nachvollziehen können. Gipfelkonturen verschwammen, vernebelten, verrauchten. Bleich beschienene Schneeflächen, die hinter- und übereinander aufstiegen, leiteten den Blick ins Wesenlose …»

Die Urmonotonie des Naturbildes, die Welt ohne Farben, ja ohne Zeichnung sogar: Weiss wie eine unbemalte, grundierte Leinwand. Weiss wie ein unbeschriebenes Blatt. Weiss wie eine unendlich grosse Projektionsfläche für Geschichten, Gedanken, Bilder für Hans Castorps Schneetraum. Hierin lässt Thomas Mann den jungen Mann in verlockenden Sequenzen inmitten eines Schneesturmes zur Schlussfolgerung kommen, dass das Leben und der Tod eine Einheit sind.

Welche Szenerie wäre für solche Reflektionen besser geeignet als die lebensfeindliche Umklammerung des Winters, der Fiebertraum kurz vor dem drohenden Erfrierungstod, dem Castorp aber schliesslich entkommt? Die Nähe von Leben und Tod, von Frost und Schönheit gab und gibt es im von Thomas Mann beschrieben Winter in den Alpen. Die gab und gibt es  ebenso in den weit entfernten Welten jenseits des Polarkreises. Grönland, die Arktis, Gletscher, Packeis haben seit jeher die Phantasie ebenso herausgefordert, wie den Ehrgeiz gerade dort, wo sich die Welt besonders abweisend, gleichgültig, bedrohlich zeigt, sie zu erobern oder zumindest sich selbst in ihr zu beweisen. Denn die endlose Schneelandschaft ist nicht nur bar zivilisatorischer Annehmlichkeiten, sondern auch ein Ort der endlosen, energieraubenden Kälte.

Und hier im Kunstraum Engländerbau? Kältekammern und Gefriertruhen waren durchaus schon als künstlerische Mittel im Einsatz, aber Stefan Rohner und Mirjam Kradolfer verzichten bewusst auf solch naturalistische Anleihen, stattdessen konstruieren sie eine Welt der Vorstellung, eine Welt, die Erfahrungen in Erinnerung ruft und daher weitaus grösser ist, als es die reale Inszenierung von Kälte sein kann. Vergleichbar ist dies mit Caspar David Friedrichs Gemälde «Das Eismeer»: Die dicke Eisdecke des Meeres ist aufgebrochen, Eisschollen türmen sich, schieben sich ineinander, ein düsterer, grauer Himmel wölbt sich darüber und plötzlich gerät das Segelschiff in den Blick. Nur das Heck des hölzernen Rumpfes ist zu sehen, Teile der zersplitterten Masten ragen an anderen Stellen aus dem Eis. Hier braucht das Frösteln keine Kältemaschine.

Ganz so dramatisch geht es in Stefan Rohners und Mirjam Kradolfers Eisfabrik nicht zu und doch ist das arktische Klima präsent. Das Licht ist kalt und gleissend, der Raum weit, das Weiss dominant. Und überhaupt: Wozu ausser als Waffe gegen die Kälte sollte der siebenfache Mumienschlafsack dienen? Wozu Pelzkappe und Fellstiefel? Wo sollten die merkwürdigen Schneebrillen ausgegraben worden sein, wenn nicht aus dem ewigen Eis? Und dann diese Töne. Klirren, Scharren, Wummern, schepperndes Metall, Gletscher kalben, Eiswind pfeift uns um die Ohren. Hier ist die andere Erscheinung des «weissen Rauschens»: Vertraut ist der Begriff aus der Akustik und dürfte vor allem Eltern bekannt sein, denn das «weisse Rauschen» gilt als jenes monotone Geräusch, das Babies einschlafen lässt und dass, wenn kein Staubsauger zur Hand ist, auf CD gekauft oder als MP3 aus dem Netz heruntergeladen werden kann. Diesem Ton wird nachgesagt, eine leicht betäubende Wirkung auf das Gehör zu haben, so dass es sich als Methode zur Lärmbekämpfung etabliert hat. Lassen wir uns also betäuben? Eher erinnert die Klangkulisse von Sven Bösiger und Patrick Kessler an das «weisse Rauschen» der Ingenieurs- und mathematischen Wissenschaften. Hier steht es für ein mathematisches Modell zur Beschreibung von Störungen in einem sonst idealen Umfeld. In der Ausstellung bietet es statt der wattierten Lautlosigkeit des Tiefschnees vielfältige assoziationsreiche Klänge. Die Töne wandeln sich. Statt Monotonie sind mal technisch, mal archaisch wirkende Klänge zu hören. Mal evozieren sie anthropologische  Geräusche, mal scheint das Wetter in den Ausstellungsraum zu dringen. Denken wir an brechende Eisschollen? An animistische Kulte? An Schneestürme, die nicht nur Thomas Mann so eindringlich beschrieben hat? Beginnen wir uns zu grausen, wenn wir uns vorstellen, wie sein Protagonist Hans Castorp sich als ungeübter Skiläufer und natürlich ohne Funktionskleidung und Lawinensonde in die Natur begibt? Gerade dieser Schauder macht auch die Faszination der kalten Sphären aus:

«Nein, die Welt in ihrem bodenlosen Schweigen hatte nichts Wirtliches, sie empfing den Besucher auf dessen eigene Rechnung und Gefahr, sie nahm ihn nicht eigentlich an und auf, sie duldete sein Eindringen, seine Gegenwart auf eine nicht geheuere, für nichts gutstehende Weise, und Gefühle des still bedrohlich Elementaren, des nicht einmal Feindseligen, vielmehr des Gleichgültig-Tödlichen waren es, die von ihr ausgingen. Das Kind der Zivilisation, fern und fremd der wilden Natur von Hause aus, ist ihrer Größe viel zuträglicher als ihr rauer Sohn, der, von Kindesbeinen auf sie angewiesen, in nüchterner Vertraulichkeit mit ihr lebt. Dieser kennt kaum die religiöse Furcht, mit der jener, die Augenbrauen hochgezogen, vor sie tritt und die sein ganzes Empfindungsverhältnis zu ihr in der Tiefe bestimmt, eine beständige fromme Erschütterung und scheue Erregung in seiner Seele unterhält.»

Es ist der Reiz des Fremden, der schwerer wiegt als jener des Exotischen. Es ist genau jener Reiz der weissen Finsternis, der rohen Naturgewalten, ja, des Lebensfeindlichen, der Entdecker, Wagemutige und Phantasten aus der zivilisatorischen Geborgenheit heraus lockt und den Polen zutreibt, real oder in Gedankenreisen. Mirjam Kradolfer und Stefan Rohner haben umfassend recherchiert. Sie haben die Expeditionsliteratur studiert, belletristische Bücher und Texte gelesen, haben Fotobücher und Filme zusammengetragen und sind den künstlerischen Auseinandersetzungen mit Schnee und Eis nachgegangen. Das Spektrum ist breit und reicht von «The Amundsen Photographs» über Anna Kims «Anatomie einer Nacht» die  Schneegedichte von Ron Winkler, Allan Kaprows Happening «Fluids» bis zu Pierre Bayards «Wie man über Orte spricht, an denen man nicht gewesen ist». Denn auch das gehört dazu: Die Pole nähren die Sehnsucht, aber nicht jeder Traum will verwirklicht werden. Mitunter sind die Reisen im Kopf ergiebiger als grosse Pionierleistungen. Auch «Das weisse Rauschen – Aus der Eisfabrik» ist das Resultat einer Kopfreise. Mirjam Kradolfer und Stefan Rohner haben es geschafft, sich von all den grossen Taten, Worten und Bildern nicht überwältigen zu lassen, sondern Eigenes entwickelt und alles zu einem neuen Bild verflochten. Zu einem Bild, in dem nicht alles nur erhaben, majestätisch oder gar bedrohlich daherkommt, sondern auch Brüche, Irritationen und sogar Unbefangenheit und Witz möglich sind. Wenn einer denn genau beobachtet:

«Um Mittag zeigte die Sonne, halb durchbrechend, das Bestreben, den Nebel in Bläue zu lösen. Ihr Versuch blieb fern vom Gelingen; doch eine Ahnung von Himmelsblau war augenblicksweise zu erfassen, und das wenige Licht reichte hin, die durch das Schneeabenteuer wunderlich entstellte Gegend weithin diamanten aufglitzern zu lassen. Gewöhnlich hörte es auf zu schneien um diese Stunde, gleichsam um einen Überblick über das Erreichte zu gewähren, ja, diesem Zweck schienen auch die einigen eingestreuten Sonnentage zu diesen, an denen das Gestöber ruhte und der unvermittelte Himmelsbrand die köstlich reine Oberfläche der Massen von Neuschnee anzuschmelzen suchte. Das Bild der Welt war märchenhaft, kindlich und komisch. Die dicken, lockeren, wie aufgeschüttelten Kissen auf den Zweigen der Bäume, die Buckel des Bodens, unter denen sich kriechendes Holz oder Felsvorsprünge verbargen, das Hockende, Versunkene, possierlich Vermummte der Landschaft, das ergab eine Gnomenwelt, lächerlich anzusehn und wie aus dem Märchenbuch.»

Und hier nun also kippen Eulen vom Ast, tanzen Schamanen auf Gletschern, fahren kleine Gnome umher oder sind es eingeschneite meteorologische Messstationen? Wer auf den fliegenden Teppich steigt, kann es vielleicht herausbekommen, kann auf Erkundungsreise gehen. Ganz ohne Kerosin. Das tut auch dem Winter, den Gletschern und dem Polareis gut.

* blaugrau = Zitate aus Thomas Mann: «Der Zauberberg», 1924

Sehnsucht Grönland

Von Völkerschauen und anderen Formen des Nichtreisens
von Thomas Schenk

Was für eine Szenerie: Der Eskimo, hagere Gestalt, gegerbtes Gesicht, setzt das Kajak behutsam aufs Wasser, zwingt sich durch die Öffnung, zieht die aus Seehundleder gefertigte Jacke darüber. Sollte er kentern, darf kein Wasser in das mit Fell bespannte Boot dringen. Auch an den Händen und am Hals hat er die Kleidung fest verschnürt, wie es in Grönland seit Jahrhunderten Tradition ist. Zwei, drei Paddelschläge genügen, um Fahrt aufzunehmen. Die aus Knochen geschnitzte Spitze der Harpune, die er bereithält, glänzt im fahlen Sonnenlicht, was seiner am Ufer stehenden Frau nicht entgeht. Ihre Blicke folgen dem Boot, ganz so, als würde sie jeden Augenblick damit rechnen, dass ihr Mann Beute macht. Dicht daneben ein paar Hundert Zuschauer, erwartungsvoll auch sie, ein Drängeln und Schubsen. Nur wenig fehlt und die Vordersten würden ins Wasser gestossen.

Schöner Schein

Doch die Menschenmenge wartet vergeblich darauf. Hier wird kein lebloser Seehund an Land gebracht und der Länge nach aufgeschnitten, kein Fett, das hervorquellt, und keiner der Hunde, die dahindämmern, wird bellen und an der Leine zerren. Denn: Jagd wird hier nur zum Schein gemacht. Der Seehund ist nur imaginiert, der Meeresarm ist bloss ein Teich, Grönland findet im dreitausend Kilometer entfernten Zoologischen Garten von Berlin statt. Willkommen in der grossen Eskimoschau.

Immerhin, die Darsteller sind echt. Eine vierköpfige Familie aus Jacobshavn an der Westküste Grönlands, Vater, Mutter und ihre beiden Kinder, sie ermöglichen diesen, wie es heisst, lebendigen völkerkundlichen Anschauungsunterricht. Und damit sich das Leben in der Arktis akkurat nachstellen lässt, sind auch allerlei Gegenstände in die Reichshauptstadt geschafft worden: Schlittenhunde, Boote, Zelte, allerlei Hausrat, Kleidungsstücke, Schneemesser, Seehundfallen und Waffen. Ferner Altertümer aus Holz, Stein und Knochen, die den Toten sonst als Grabbeigabe mitgegeben werden.

Und die Besucher strömen massenhaft in den Zoo in diesem Frühjahr 1878. Man lässt sich noch begeistern vom Fremden. Mit eigenen Augen wollen sie sehen, was das für Kreaturen sind, die im Eis, dieser lebensfeindlichsten aller Umgebungen, überleben, die monatelang in völliger Dunkelheit ausharren am Nordrand der Welt. Rohfleischesser werden sie genannt, irrtümlich, wie wir heute wissen. Schneeschuhknüpfer wäre die treffendere Übersetzung für den Begriff Eskimo, auch wenn die Ureinwohner Grönlands damit nicht sich, sondern ihre Nachbarn meinen. Wie auch immer, seltsame kleine, verkümmerte Menschen sollen es sein, die in Berlin ausgestellt werden. Eine eigene Rasse gar, wird gesagt, angeblich noch ganz in ihrem Ursprung erhalten. Hier im Zoo lässt sich deren Leben inspizieren, lässt sich ein Gang in die Geschichte tun. Zurück bis zur Steinzeit, so primitiv haben vielleicht auch einmal die eigenen Urahnen gelebt. Und alles für nur fünfzig Pfennig.

Lange Zeit sind Walfänger und vom Kurs abgekommene Seeleute die einzigen Quellen der Europäer, um sich ein Bild von Grönland und ihren Bewohnern zu machen. Sechsmal so gross wie Deutschland ist das zum dänischen Reich gehörende Gebiet. Platz genug für eigene Projektionen. Berichte über gescheiterte Nordpolexpeditionen, von Charles Francis Hall über Carl Koldewey bis Carl Weyprecht, beleben das Interesse. Die weite Reise zu unternehmen und sich die Fremden selbst anzuschauen, ist ein paar wenigen vorbehalten, und auch brauchbare Fotografien aus dem Norden gelangen kaum aufs Festland. Einfacher, ein paar Eskimos herzuholen. So bleibt wenigstens den Zuschauern die wochenlange, lebensgefährliche Überfahrt über das Nordmeer erspart.

Diversifikation des Tierhandels

Ob Columbus, Cortés oder Vespucci: Seit der Eroberung fremder Territorien hatten Seefahrer und Abenteurer nicht nur Gold und Gewürze, sondern auch Eingeborene nach Europa gebracht und ausgestellt. Es dauerte dann aber bis 1870, bis die Faszination für fremde Völker kommerzialisiert wurde. Dieses letztlich zweifelhafte Verdienst kommt dem Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck zu, der die Völkerschau als eigenständiges Geschäft entwickelte. Er war allerdings nicht selbst auf die Idee gekommen, ein befreundeter Tiermaler hatte ihn darauf gebracht. Statt sich damit zu begnügen, eine Rentierherde einzuführen, wie es Hagenbecks Idee gewesen war, solle er die Tiere doch von einer Lappländerfamilie begleiten lassen, samt Zelten, Werkzeugen und übrigem Hausrat. Auf diese Weise, so die Hoffnung des Künstlers, liesse sich das malerische nordische Bild schaffen. Dank naturgetreuer Rekonstruktion sollten sich die Zuschauer in einem fernen Land wähnen. Authentizität, schon damals ein Erfolgsrezept.

Dass Hagenbeck auf den Vorschlag des Malers einging und fortan fremde Völker in sorgsam hergerichteten Arrangements vorführte, lag auch daran, dass sein Kerngeschäft, die Einfuhr von Wildtieren, ins Stocken geraten war. Denn in den Zoos und Menagerien Europas begann man allmählich zu verstehen, wie Löwen, Zebras und Giraffen zu füttern und zu pflegen waren, damit sie die Gefangenschaft überlebten und nicht schon nach wenigen Monaten ersetzt werden mussten. Diversifikation war willkommen, und so holte Hagenbeck Bewohner aus Somalia, Nubien und Kamerun, aus Ceylon und Indien und aus dem hohen Norden und liess sie durch die grossen Städte Europas touren.

Eine ungemein überraschende Erscheinung

Wie klein die Eskimos sind! Der Vater, Caspar Mikel Okabak, misst 1.55 Meter, seine Frau Juliane Maggak gerade 1.44 Meter. Und erst ihr Aussehen: das Kopfhaar tiefschwarz, dick und straff wie Pferdehaare, die Nase platt. Die Augen dunkel, von wechselndem Braun, lebhaft und glänzend, schief nach aussen und oben stehend. Die Haut gelbbräunlich, fast schwärzlich, doch keineswegs rau, wie man vermuten könnte, sondern glatt, namentlich an den bedeckten Stellen, dort ist sie ungewöhnlich zart und weich anzufühlen.

Die präzisen und überaus anschaulichen Angaben über die Eskimos, die im Zoologischen Garten Berlin ihr Quartier haben, verdanken wir Dr. Rudolf Virchow, dem angesehenen Pathologen, der sich nebst vielem anderen für ein hygienisches Schlachthaus einsetzte und dafür, dass in Berlin eine Kanalisation gebaut wurde. Dank gütiger Vermittlung des Zoodirektors kann er die Familie Okabak eingehend untersuchen. Zum ersten Mal überhaupt ist es dem Forscher vergönnt, mit lebenden Eskimos zu arbeiten – bis anhin musste er sich mit der Vermessung von Schädeln begnügen, die ihm in den Museen von Kopenhagen und Stockholm zugänglich waren. Virchow weiss es zu schätzen, dass ihm die Forschungsobjekte angeliefert werden und die beschwerlichen Reisen entfallen. Wobei die Begegnung mit den Eskimos einen ausgesprochen starken Eindruck hinterlässt, wie aus seinem Bericht von der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte hervorgeht. Es sei eines der interessantesten ethnologischen Bilder, das sich vor unseren Augen entfaltet, und, ich muss sagen, das fremdartigste, was man sehen kann. Wir haben im Laufe der letzten Jahre eine ziemliche Collection fremder Specimina gehabt, allein keines von ihnen kam auch nur annäherungsweise an die Eskimos. Sie bieten eine in ihrer Art ganz ungewöhnliche und ungemein überraschende Erscheinung dar.

Die Anthropologie wird mit Meterstab, Bandmass, Taster- und Gleitzirkel, also mit grosser Präzision betrieben. Für die Prozedur, das verlangt die Wissenschaft, müssen sich die Eskimos ganz auskleiden, worauf Virchow nebst Körpergrösse und Länge der Oberschenkel auch grösste Länge und grösste Breite (mit ausgestreckten Armen) ermittelt, ferner Ohrhöhe, Gesichtshöhe (vom Haarrand und der Nasenwurzel aus), Gesichtsbreite sowie Höhe und Breite der Nase. Ohne in die Tiefen der damals verbreiteten Rassenlehre eintauchen zu wollen: Die gemessenen Werte lassen zueinander in Verbindung setzen, es können Klassen gebildet, Ordnung geschaffen werden. Auf diese Weise, so Virchows nicht unbescheidene Hoffnung, kann das Woher und das Wohin der Menschheit geklärt werden.

Die untersuchten Eskimos schneiden recht gut ab – anhand der ermittelten Indices kann er ihnen Virchow einen kultivirten Zustand attestieren. Da die Mitglieder der Familie Okabak nicht nur unter sich, sondern auch mit allen uns sonst bekannten Grönländer-Bildern übereinstimmen, stuft er sie als ganz reine Exemplare ein. Bemerkenswert sei das ganz ungewöhnliche Verhältnis der Körpertheile und die überaus kurzen Beine. Virchow fällt zudem auf, dass in ihrem Gesicht Alles mehr in’s Breite geht. Das Gebiss sei sehr entwickelt, die Unterkiefer weit ausgelegt, die Kaumuskeln erreichten eine colossale Grösse. Was er mit der besonderen Ernährung erklärt, die hauptsächlich aus rohem Fleisch und Fisch besteht.

Begehbare Installationen

Dass die Fremden Seite an Seite mit Antilopen, Elefanten und Löwen gezeigt werden, liegt nicht nur daran, dass die Zoos die Ausstellungsobjekte über die gleichen Handelsfirmen beziehen. Auch die Faszination gründet auf demselben Reiz: das Wilde, Bedrohliche ganz nah und gezähmt zu erleben. Dass Caspar Mikel Okabak rasch ein paar Brocken deutsch lernt und auch Münzen und Geldscheine auseinanderhalten kann, ist kein Widerspruch zur inszenierten Jagd, sondern verstärkt das Bild der gezähmten Natur.

Die Vereinnahmung der Fremden erfolgt zuerst mit den Augen. Die Zuschauer können sich, durch das Eskimodorf schlendernd, frei und selbständig ein Bild von den Menschen und ihren Gebräuchen machen. Selbst die deutsche Kaiserfamilie wagt sich in die begehbare Installation und schaut sich die Eskimos von Nahem an. Kronprinz Friederich wird dabei beobachtet, wie er die Unterkunft betritt, die die Grönländer aus Steinen und Grastorf errichtet haben. Er kann sich überzeugen, dass hier keine billige Kulissenmalerei betrieben wird. Zwar ist nicht überliefert, wie es dem Kronprinzen dabei ergangen ist, doch der Reporter einer illustrierten Wochenzeitschrift hat seine Eindrücke festgehalten. In der Behausung, notierte er, werde Seehundfett verbrannt, um Licht und Wärme zu erzeugen. Deshalb lasse sich leicht denken, wie die Luft in einer solchen Hütte beschaffen ist, zumal da noch Fleischabfälle und dergleichen umherliegen, und die Eskimos überhaupt sehr unreinlich sind. Weil an manchen Tagen Zehntausende in das Eskimodorf strömen, kommen die gewöhnlichen Zuschauer den Gästen selten so nahe. Bisweilen muss die Polizei dafür sorgen, dass Erdhaus und Zelte nicht überrannt werden.

Kunstreise durch Europa

Ob die Eskimos ahnten, was ihnen die Auftritte abverlangen würden? Der Händler, den Hagenbeck mit der Anwerbung beauftragt hatte, soll ihnen das einjährige Engagement als Kunstreise durch die Hauptstädte Europas angepriesen haben. Bevor Adrian Jacobsen – norwegischer Seefahrer, der Hagenbeck noch zahlreiche Menschen aus allen Weltgegenden liefern wird – mit seiner Fracht auslaufen konnte, musste das Geschäft vom dänischen Inspektor genehmigt werden. Das Monopol der Kolonialmacht erstreckt sich nicht nur über den Handel mit Eisbärfellen, mit Elfenbein vom Walross und Daunen der Eiderente, auch die Ausfuhr von Menschen wird streng kontrolliert.

Längst war die Walfisken beladen, bis die Okabaks an Bord gingen. Unter Deck der Brigg stapelten sich Gerätschaften und Kleider, die Jacobsen von den Einheimischen erworben hatte. Das Umiak, das grosse Frauenboot, musste zerlegt werden; früher waren diese für den Walfang eingesetzt worden, bis europäische Jäger die Walbestände dezimierten. Eine Flottille von Kajaks begleitete nun die Reisenden. Dass ihnen Frauen vom Ufer zuwinkten, war für Juliane Maggak durch den Schleier ihrer Tränen nicht zu erkennen. Der dänische Kapitän hatte für solche Sentimentalitäten keine Augen, er musste das Schiff an unzähligen Eisbergen vorbei steuern. Der Jakobshavn Isbræ, der, wie wir heute wissen, am schnellsten fliessende Eisstrom der Welt, brachte seine Fracht zuverlässig in den Fjord. Daran hat sich jetzt, wo auch das Grönlandeis schmilzt, nichts geändert. Doch anders als damals sitzen nun da und dort ein paar Touristen auf der Terrasse eines Hotels, in eine Decke gehüllt, vielleicht ein Glas Chardonnay in der Hand, und sehen dem Vergehen der Zeit zu.

Als die Okabaks auf dem Festland ankommen und die ersten Droschken sehen, wundern sie sich darüber, dass die Menschen so grosse Häuser auf ihren Schlitten ziehen. Vor den eingespannten Pferden weichen sie zurück und fragen, ob die Riesenhunde bissig seien. Eindruck machen ihnen auch die mehrstöckigen Häuser, die gross wie Eisberge sind. Erheblich ihr Erstaunen schliesslich, als sie die Eisenbahn besteigen. Wie nur, fragen sie sich, können Hunde ein so schweres Gefährt ziehen. Es sind Begriffe aus ihrem Alltag, mit denen die Eskimos die neue Welt zu deuten versuchen. Sie haben keine anderen.

In zwei Stunden nach Grönland und wieder zurück

Im Lauf des 20. Jahrhunderts beginnt sich das Verhältnis zu fremden Kulturen allmählich zu wandeln, Stimmen häufen sich, die Völkerschauen als menschenverachtende Kolonialpropaganda bezeichnen. Doch die aufkommende Kritik ist nicht der Grund, weshalb die Fremden aus Asien, Afrika und dem Norden weniger Zuschauer anziehen. Durch ständige Wiederholung hat die Exotik an Reiz verloren, dank der aufkommenden Filmindustrie lassen sich die Exponate in ihrer natürlichen Umgebung betrachten, bequem vom Kinosessel aus. Und bald werden auch Fernreisen erschwinglich. Wer will, kann den Fremden nun nachreisen.

Niemand wird den Völkerschauen nachtrauern wollen. In einem Punkt aber sind sie bis heute wegweisend: bezüglich Logistik. Das Grundprinzip, die Darsteller direkt zu den Zuschauern zu bringen, darf als visionär bezeichnet werden. Nicht nur Automobilkonzerne und Nahrungsmittelmultis versuchen inzwischen, möglichst nahe bei den Absatzmärkten zu produzieren. Warum sollte nicht auch die Tourismusindustrie wieder auf dieses Modell setzen? Die Anwohner von Flughäfen wären ebenso erleichtert wie all jene, die vor dem Klimawandel warnen, falls wieder temporäre Siedlungen nahe der Metropolen errichtet und die Grönländer mitsamt ihren Schlittenhunden und farbigen Hütten ins Bild gesetzt würden. Bequemer lässt es sich nicht in den Norden reisen. Das war schon damals einem Berichterstatter aufgefallen: Jetzt, ohne dass es kalt ist, kann jedermann eine kleine Reise nach Grönland machen – in zwei Stunden, hin und zurück.

Die Strapazen des Reisens, die Gefahren, die selbst auf einem Luxusliner im Polarmeer noch immer lauern, liessen sich vermeiden. Eine häusliche Form des Reisens nennt dies der französische Philosoph Pierre Bayard. In seinem geistreichen Essai Wie man über Orte spricht, an denen man nie gewesen ist empfiehlt er allen, die einen unbekannten Flecken auf dieser Welt erkunden wollen, zu Hause zu bleiben. Erst diese Form der Unreise ermögliche es, einen Ort richtig wahrzunehmen. Macht es, so kann man fragen, wirklich einen Unterschied, ob man mit der MS Nautica kurz in Qaqortoq, Südgrönland, anlegt, um durch die malerische, an einem Berghang gelegene Siedlung mit ihren bunten Kolonialzeit-Gebäuden zu stolpern, oder ob man durch eine gut arrangierte Inuit-Siedlung durch Berlin, Paris oder Zürich geht? Schnitzereien aus Walfischknochen und aus Treibholz gefertigte Schatullen lassen sich problemlos an jeden Ort der Welt bringen, die in gefärbte Seehundfelle gekleideten Familien mit ihren herzigen Kindern ebenso. Und mittels aktuellen Ton- und Filmdokumenten, die sich auf jedes Smartphone laden lassen, haben die Besucher Zugang zu all den Informationen. Dass sich das arktische Klima nicht simulieren lässt, trübt das Vergnügen nur unwesentlich. Nach ein, zwei schlaflosen Nächten werden die wenigsten die Mitternachtssonne vermissen.

Und hat nicht auch hat das Ausstellungswesen grosse Fortschritte erfahren? Die Zoogehege sind grösser geworden, Bepflanzung und Einrichtung sind dem natürlichen Verhalten angepasst, und um möglichst wenig Langeweile aufkommen zu lassen, wird selbst das Futter versteckt. Bestimmt liessen sich die einen oder anderen dieser, der Zoobiologie und -psychologie zu verdankenden, Erkenntnisse auf die Präsentation fremder Völkern übertragen.

Heimweh und andere Krankheiten

Ganz lassen sich die Strapazen für die Darsteller nicht beseitigen. Diese waren zu Beginn der Völkerschauen allerdings deutlich grösser. Damals gab es noch keine Klimaanlagen, wenn die Nordländer in der Sommerhitze in ihren Pelzen auftraten. Die Tourneen setzten den Fremden zu, viele bezahlten die Reise mit ihrem Leben. Besonders hart ereilte das Schicksal jene acht Nordländer, die Hagenbeck zwei Jahre nach den Okabaks aus Labrador kommen liess. Die Exponate starben an Pocken; es wurde versäumt, sie rechtzeitig zu impfen. Eigentlich hatte Hagenbeck wiederum grönländische Eskimos einführen wollen, doch als die Kolonialmacht Dänemark die Ausfuhr von Grönländern untersagte, musste er auf die kanadische Halbinsel ausweichen.

Als offizieller Grund für das frühzeitige Ableben wurde auf den Todesscheinen bisweilen Heimweh vermerkt. Was weniger mit fehlender medizinischer Kenntnis zu tun hatte als mit der Absicht, das Geschäft nicht zu gefährden. Vereinzelt konnten sich Eskimos über ihren Tod hinaus nützlich machen. Einer, der die Reise nicht überstand, wurde ausgestopft und in dieser Form vorgeführt. Andere Aussteller behalfen sich damit, ihre von Krankheiten dahingerafften Exponate mit Europäern zu ersetzen. Bisweilen flog der Schwindel auf, weshalb manche Schausteller die Echtheit ihrer Ausstellungsstücke vorsorglich von Anatomieprofessoren bescheinigen liessen.

Die Erfindung des Wilden

Was ist aus dir geworden, mein alter Ukubak?, fragte Carl Hagenbeck dreissig Jahre nach der ersten Eskimoschau in seinen Memoiren. Offenbar hatte er Caspar Mikel Okabak, die Schreibweise der Namen war nicht einheitlich, aus den Augen verloren. Immerhin war Hagenbeck zuversichtlich, dass die Reise in das Land des weissen Mannes, der euch mit reichen Schätzen heimsandte, zum grossen und unvergesslichen Abenteuer eures Lebens geworden sei. Dem Tierhändler wird die Zeit gefehlt haben, das Schicksal seiner Ausstellungsobjekte weiterzuverfolgen. Denn noch entwickelte sich das Geschäft gut, bis 1931 mit den Kanaken der Südsee eine letzte von ihm zusammengestellte Truppe auftritt, organsiert er über hundert Völkerschauen.

Wir kennen den Ausgang der Geschichte: Nach einem Jahr kehrte die Familie Okabak nach Jacobshavn zurück, zusammen mit allerlei Geschenken, die sie bei ihren Auftritten in Hamburg, Berlin, Paris und Dresden erhalten hatte. Mit ihren neuen Kleidern, die sie tragen, werden sie zuerst nicht erkannt. Als das auf der Reise verdiente Geld aufgebraucht ist, wird Caspar Mikel unter Vormundschaft gestellt, ein paar Jahre danach stirbt er. Eines der Kinder starb schon kurz nach der Rückkehr.

Ob es Juliane Maggak besser erging, ist nicht überliefert. Immerhin erwiesen sich die Bilder, die von ihr angefertigt wurden, als langlebig. Eine der Fotografien schaffte es in eines der grossen Lexika, wie Hagenbeck in seinen Erinnerungen befriedigt feststellte. Noch immer namenlos, kann man ihr bis in unsere Zeit begegnen: Vor ein paar Jahren war sie im Holocaust-Museum in Washington zu sehen, auf einer Aufnahme zur Erläuterung der Rassenlehre der Nationalsozialisten. Und unlängst zeigte das Musée du Quai Branly jene Büste von ihr, die während ihres Aufenthalts in Paris angefertigt worden war. Die Ausstellung trug den Titel L’invention du sauvage, die Erfindung des Wilden.

Quellen

  • Pierre Bayard, Wie man über Ort spricht, an denen man nie gewesen ist, Antje Kunstmann, München, 2013.
  • Anne Dreesbach, Gezähmte Wilde – Die Zurschaustellung «exotischer» Menschen in Deutschland 1870–1940, Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2005.
  • Carl Hagenbeck, Unter Tieren und Menschen, Vita Deutsches Verlagshaus, Berlin, 1908.
  • Christian F. Feest, Eskimo – Schwerpunkt Grönland: am Nordrand der Welt, Museum für Völkerkunde, Wien 1991.
  • Adrian Jacobsen, Die weisse Grenze – Abenteuer eines alten Seebären rund um den Polarkreis, Brockhaus, Leipzig, 1931.
  • Nigel Rothfels, Savages and beasts – The birth of the modern zoo, Johns Hopkins University Press, Baltimore, 2002.
  • Hilke Thode-Arora, Für fünfzig Pfennig um die Welt – Die Hagenbeckschen Völkerschauen, Campus Verlag, Frankfurt am Main, 1989.
  • Rudolf Virchow, Eskimos, in Zeitschrift für Ethnologie: Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Band 10, A. Asher & Co., Berlin, 1878.